Was ist Heiligkeit?

  1) “So erweist euch denn als heilig und seid heilig, weil Ich heilig bin!” (Lev 11,44) - so richtet sich Gott schon im Alten Testament an Sein Volk. Und Jesus Christus drückt dieselbe zentrale sittliche Forderung der christlichen Offenbarungsreligion mit den folgenden eindringlichen Worten aus: “Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!” (Mt 5,48) Somit stellen die Heiligkeit bzw. die sittliche Vollkommenheit jenes Merkmal dar, durch welches sich ein Christ unbedingt auszeichnen soll, will er ein treuer Jünger Jesu Christi sein und vorbildlich leben.
Aber was ist diese Heiligkeit ihrem konkreten Inhalt nach? Worin kann man sie im Alltag erblicken? Woran kann man erkennen - ohne zu leicht der sonst gegebenen Gefahr der Täuschung zu erliegen -, ob ein Mensch wirklich weit fortgeschritten ist auf dem Weg der Heiligung des eigenen Lebens oder eventuell nur so tut als ob er ein Heiliger wäre. Unter anderem stellen wir uns ja solche Fragen auch, um zu sehen, wo wir uns in dieser Hinsicht gerade befinden, um gewissermaßen abzulesen, wie weit wir jeweils geistig-religiös vorangeschritten sind.
2) Nun, vielleicht können uns da die folgenden drei so genannten Merkmale der Heiligkeit behilflich sein. Als erstes wird wohl jeder auf die Frage, was denn Heiligkeit sei, ohne groß nachdenken zu müssen zutreffend antworten, sie bestünde zunächst darin, dass man keine Sünde hat bzw. keine Sünde tut. Da gibt es sicher keinen Zweifel, dass die (möglichst weitestgehend zu intendierende) Sündenlosigkeit eines Menschen ein deutliches Zeichen für das Vorhandensein eines hohen Grades der Heiligkeit ist.
Denn die Sünde stellt ihrem Wesen nach ein unüberbrückbares Hindernis, einen fundamentalen Widerspruch zu Gott dar! Sünde bedeutet ja, dass sich jemand bewusst gegen das heilige Gebot Gottes vergeht, indem er nämlich etwas moralisch Schlechtes will, bei der Festlegung seines an sich freien Willens das sittliche Übel wählt, trotz allen inneren Kampfes letztendlich doch dem Falschen und Bösen den Vorzug gibt! Und da eben die Sünde immer einen wie auch immer gearteten Angriff auf die Güte, Heiligkeit und Autorität Gottes darstellt, ist sie niemals und unter keinen Umständen mit Ihm zu vereinbaren - Gott als der absolut Gute und die Sünde als das moralische Übel schließen sich kategorisch aus!
Zwar wird unser Wille oft durch die an uns herantretende Versuchung des Widersachers Gottes geschwächt, ja manchmal haben wir sogar das Empfinden, als wären wir fast schon wie gelähmt. Aber dennoch verlieren wir trotz unserer ganzen Versuchbarkeit nicht die Verantwortlichkeit für unser eigenes Tun und Lassen. Denn entweder bemühen wir uns willensmäßig nicht hinreichend, die unmoralische Anmutung bzw. unsere sittliche Schwäche zu überwinden und dann letztendlich doch den Willen Gottes zu tun, oder wir wollen ganz einfach nicht wirklich uns für das Richtige entscheiden, weil uns das Unsittliche etwa immer noch lieber ist bzw. in welcher Hinsicht auch immer angenehmer erscheint.
Sicherlich hängt der Grad unserer Schuld vor Gott vom Grad unserer Zustimmung zur Sünde ab - es gibt schwerere und leichtere Sünden. Aber solange der Mensch die Verfügung über seinen Willen besitzt bzw. Einfluss auf ihn hat, ist er auch verantwortlich für seine jeweiligen Untaten. Denn sonst würde uns auch kein Verdienst aus dem zukommen (können), was wir erfreulicherweise auch gut und richtig tun - der Mensch würde letztendlich auch keine echte innere Freude empfinden können!
So werden wir praktisch auf jeder Seite des Neuen Testamentes auf verschiedenste Art und Weise eindringlich davor gewarnt zu sündigen, eine Sünde als eben jene Übertretung des moralischen Gebotes Gottes zu begehen! In den folgenden zwei Zitaten aus den Briefen des hl. Apostels Johannes wird stellvertretend für die gesamte Heilige Schrift grundsätzlich festgestellt: “Sünde ist Übertretung des (moralischen - Anm.) Gesetzes. Ihr wisst doch, dass Er erschienen ist, um die Sünden wegzunehmen. In Ihm ist keine Sünde. Wer in Ihm bleibt, der bleibt sündenfrei. Wer aber sündigt, hat Ihn nicht gesehen und nicht gekannt. ... Wer dagegen Sünde begeht, stammt vom Teufel. Der Teufel ist ein Sünder von Anfang an. Dazu ist der Sohn Gottes erschienen, dass Er die Werke des Teufels zerstöre. Wer aus Gott geboren ist, tut keine Sünde. ... Daran erkennt man die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels: wer das Rechte nicht tut, ist nicht aus Gott.” (1 Joh 3,4-10); “Daran sehen wir, dass wir Ihn kennen, wenn wir Seine Gebote halten. Wer sagt: ich kenne Ihn, aber Seine Gebote nicht hält, der ist ein Lügner. Die Wahrheit ist nicht in ihm. Wer aber Sein Wort hält, in dem ist wahrhaft die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir, dass wir in Ihm sind. Wer behauptet, er bleibe in Ihm, der muss auch so wandeln, wie Er gewandelt ist.” (1 Joh 2,3-6)
So ist doch Jesus Christus nicht nur in diese Welt gekommen und am Kreuz für uns gestorben, um uns von der Sünde zu erlösen bzw. von unserer Schuld zu befreien, sondern Er wies uns auch in aller Klarheit und Unmissverständlichkeit an - wie es ja in den gerade angeführten Schriftzitaten überdeutlich durchklingt -, keine Sünde mehr zu begehen! So gab Er zum Beispiel der Ehebrecherin des Evangeliums, nachdem Er ihr nämlich ihre Schuld vergeben hatte, die einem göttlichen Gebot gleichkommende Anweisung: “Geh hin und sündige fortan nicht mehr!” (Joh 8,11)
Und wir sehen am Vorbild der Heiligen, allem voran an dem der Muttergottes, wie sehr sich ein Jünger Christi willensmäßig gegen die Sünde aussprechen und sie in Bezug auf die Lebenspraxis aus allen Bereichen seines Denkens und Handelns ausschließen soll! So besteht zum Beispiel das Geheimnis der allumfassenden Reinheit Mariens nicht allein darin, dass sie wegen des ihr von Gott gewährten außergewöhnlichen Privilegs der Unbefleckten Empfängnis sündenlos geblieben ist, sondern dass auch sie mit ihrer eigenen menschlichen Willensleistung die Sünde entschieden abgelehnt hat!
Und wie oft denken wir: ach, das wird schon nicht so schlimm sein; was soll’s, das Bisschen (an Sünde) gestehe ich mir zu; warum denn nicht, beim nächsten Mal kann ich es ja dann doch beichten!? Die Hand aufs Herz - irgendwie spielen wir doch dabei mit Gottes heiligem Gebot bzw. nehmen Ihn nicht ernst (genug). Jedenfalls ist die ehrliche Bemühung um die gewissenhafte Erfüllung des Willens Gottes ein sicheres Zeichen dafür, dass jemand nach Heiligkeit strebt.
3) Aber, um heilig zu sein bzw. auf diesem Gebiet nennenswerte Fortschritte getan zu haben, reicht es nicht aus, nur keine Sünde begangen zu haben. Neben dem notwendigen Ausschluss des Bösen aus seinem Leben gehört nämlich auch noch die Übung des sittlich Guten, die Umsetzung des Gottgewollten, das Vollziehen des Gottwohlgefälligen unbedingt dazu, um “ein neues Geschöpf in Christus” zu werden und zu bleiben (vgl. 2 Kor 5,17)! So legte Jesus den größten Wert auch auf dieses konkrete praktische Tun, das positive Vollbringen des Willens Gottes: “Nicht jeder, der zu Mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Himmelreich eingehen, sondern nur, wer den Willen Meines Vaters tut, der im Himmel ist” (Mt 7,21).
Den Willen Gottes zu tun bedeutet, denselben sittlichen Willen zu besitzen wie Er, den göttlichen Willen zur Grundhaltung der eigenen Gesinnung zu machen! Somit will ein sittlich gesinnter Mensch dasselbe, was Gott will, und bezweckt mit seinem ganzen Handeln auch diesselben erhabenen Ziele wie Er. Ein im Heiligkeitsstreben fortgeschrittener Mensch zeichnet sich ebenfalls dadurch aus, dass er sich ein hohes Maß an dieser Intensität im Guten, an dieser tiefen und kaum zu erschütternden Verwurzelung im Willen Gottes erarbeitet bzw. im sittlichen Kampf Schritt für Schritt angeeignet hat. Und auch lässt er sich dann davon weder durch Widerspruch noch durch das gegenteilige unmoralische Handeln anderer abbringen! Dies geht natürlich nicht von heute auf morgen, dies verlangt viel Ausdauer, Kraft und Mühe.
Daraus resultiert dann aber nicht nur ein tiefer innerer Friede, welchen die Welt uns trotz aller ihrer verlockender Angebote wird niemals geben können: “Frieden hinterlasse Ich euch, Meinen Frieden gebe Ich euch. Nicht wie die Welt ihn gibt, gebe Ich ihn euch” (Joh 14,27), sondern auch eine solche intensive und beseligende Freude des Herzens, die wirklich aus Gott kommt und nur erworben werden kann, wenn man sich das entsprechende ernste sittliche Streben auferlegt! Mit Geld, Macht, Einfluss oder weltlichem Vergnügen kann man diese Teilhabe am göttlichen Segen weder bemessen noch aufwiegen.
Dann aber strahlt der betreffende Mensch seine verfestigte moralische Grundhaltung auch bei allem, was er tut, entsprechend aus - in Gedanken, Worten und Werken! Und die Menschen, die mit ihm lebensmäßig (hinreichend genug) in Berührung kommen, können diese im christlichen (und bitte nicht im esoterischen!) Sinn gemeinte positive geistige Ausstrahlung, welche sowohl ihnen als auch sie Gott näher ringen lässt, auch entsprechend wahrnehmen. Man merkt, hier ist ein Mensch, der tatsächlich und nachhaltig sein ganzes Leben auf Gott gebaut hat und sich entschiedenst bemüht, sich in allem von Seinem Willen leiten zu lassen. (Dabei geht es wohlgemerkt nicht darum, dass man damit vor den anderen angibt bzw. dass man dies für wie auch immer geartete egoistische Zwecke einsetzt, sondern dass man diese Gesinnung wirklich hat!)
Eine weitere, viel höhere Stufe auf dieser Skala nimmt dann ein Heiliger ein, welcher nämlich die Entschiedenheit im Streben nach der Erfüllung des heiligen Willens Gottes so sehr verinnerlicht hat, dass sie ihm praktisch zu seinem zweiten Wesen geworden ist; dass er von ihr in einem solchen hohen Maß erfüllt ist, wie es nämlich für uns, zur Sünde neigende Menschen, überhaupt möglich ist; dass sie ihm unweigerlich aus allen seinen Worten und Werken entströmt und die, die sich dafür öffnen, wie ein Magnet zu Gott führt.
Ein (im eigentlichen Sinne des Wortes) Heiliger besitzt den sittlichen Willen eben in einer solchen geistigen Intensität, dass er den Geist Gottes sozusagen atmet und ihm die innigste Verbindung mit Jesus Christus gewissermaßen auf dem Gesicht geschrieben steht. Er ordnet seinen an sich schwachen menschlichen Willen komplett dem heiligen Willen Gottes unter und ist überwältigt von der Freude der Gegenwart Gottes: “Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir” (Gal 2,20)!
Und wiederum ist uns hier die Muttergottes das beste Beispiel. Ist sie denn wegen ihrer in den Evangelien überlieferten konkret getroffenen Entscheidungen nicht sogar der Inbegriff dessen, was zum Beispiel Demut, Bescheidenheit, Ergebung in den Willen und die Vorsehung Gottes bedeuten: “Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort” (Lk 1,38)? Und wenn man sozusagen in ihre Fußstapfen tritt und ihr somit darin folgt, mit welcher Selbstlosigkeit und Hingebungsbereitschaft sie nämlich Gott gedient hat, wird man denn da nicht unweigerlich zu unserem Herrn Jesus Christus, dem göttlichen Erlöser, geführt?
Und welche überwältigende Freude spricht aus ihren Worten des Magnifikat-Hymnus, einer der wunderbarsten und tiefsten Dichtung der ganzen Religions- und Heilsgeschichte! Maria wird zuvor von Elisabeth wegen ihrer Einwilligung in den ihr durch den Erzengel Gabriel überbrachten göttlichen Willen als die “Gebenedeite unter den Weibern” gepriesen. Sie aber lenkt den Blick sofort auf Gott, welcher ja allein die Quelle und Ursache allen Heils ist: “Hoch preist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland! Denn herabgesehen hat Er in Gnaden auf Seine niedrige Magd, siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter. Großes hat an mir getan der Mächtige, heilig ist Sein Name. Sein Erbarmen währt von Geschlecht zu Geschlecht für die, die Ihn fürchten” (Lk 1,46-50)! Will bzw. kann sich denn überhaupt jemand mit dieser tiefsten geistigen Verwurzelung Mariens in Gott messen?
4) Zur Heiligkeit gehört, so lehrt es uns jedenfalls die menschliche Erfahrung, auch noch ein anderes wichtiges Element. Dies ist nämlich das Kreuz! Zunächst kann es doch einem echten Christen nicht egal sein, ob nämlich die Menschen in seiner sozialen Umgebung Gott bejahen und gottgefällig leben oder sich in Wort und Tat eben gegen Ihn aussprechen bzw. Seiner sogar spotten. Ein guter Katholik fühlt sich davon betroffen und leidet in gewissem Umfang sogar darunter, da er sich mit Ihm wegen seiner Zugehörigkeit zu Ihm sehr wohl solidarisiert bzw. sich als einen Teil von Gottes guter Sache sieht.
Daraus resultiert dann auch die Bereitschaft eines solchen Menschen, nicht nur die eigenen Sünden zu büßen, sondern sich im Maße der eigenen Möglichkeiten auch an der Sühne und Wiedergutmachung der Gott durch andere Menschen zugefügten Schmach zu beteiligen. So zeigt er sich etwa bei den Unannehmlichkeiten und Unbequemlichkeiten des Alltags möglichst geduldig und opfert sie großherzig Gott zur Sühne auf.
Wir kennen ja den Grundsatz der christlichen Gerechtigkeit, dass Gott nämlich die Guten belohnt und die Bösen bestraft. Daraus ziehen dann manche Menschen die etwas vereinfachte Schlussfolgerung, dass sie, wenn sie gesund und leistungsfähig sind, dies ihrem (vermeintlich) vorbildlichen Lebenswandel zuzuschreiben hätten. Wenn aber jemand wie auch immer (vor allem ernsthaft) erkrankt oder ein sonstiges Übel erleidet, dann sei dies ihrer Meinung nach ein sicheres Zeichen dafür (vor allem bei den eigenen Gegnern!), dass sie etwas verbrochen haben und nun von Gott dafür eben bestraft werden.
Nun, sicherlich kann eine Krankheit oder ein sonstiges Übel unter Umständen auch als eine Strafe Gottes verstanden werden - manchmal scheint da der Zusammenhang offenkundig genug zu sein, um solches vielleicht vermuten zu können. Aber da wir die Gedanken Gottes nicht lesen und somit auch niemals ganz genau wissen können, warum Gott was und wann und bei wem zulässt, sollten wir uns lieber ganz von solchen stets hinkenden Denkmustern verabschieden.
Statt also zu viele Gedanken darauf zu verschwenden, wie zum Beispiel unsere Nachbarn oder Gegner etwa diese Krankheit oder jene Widerwärtigkeit, die einem im Leben bisweilen widerfahren, interpretieren (und gegebenfalls auch für sich und eben gegen uns ausschlachten) könnten, sollten wir uns darauf konzentrieren, unser betreffendes Lebenskreuz auf dem Weg der Nachfolge des leidenden und für uns sühnenden Christus tapfer und geduldig zu tragen. Opfern wir es dann auch Gott in echter christlicher Gesinnung als einen bescheidenen Ersatz für unser sonstiges häufiges Versagen auf. Und sollte jemand die Kraft aufbringen, in dieses Opfer großherzig und ohne Selbstmitleid auch die Kränkung jener eventuellen Falschinterpretation seitens unserer lieben “Brüder” einzuschließen, würde man auf dem Weg der Heiligung des eigenen Lebens wirklich weit fortgeschritten sein!
So prüft uns Gott durch die verschiedensten Kreuze und Widerwärtigkeiten, die Er für uns nach Seinem unergründlichen Ratschluss zulässt bzw. die uns ereilen, ob unser Glaube an Ihn in der Tat felsenfest, unsere Hoffnung auf Ihn wirklich lebendig und unsere Liebe zu Ihm zweifelsohne echt und uneigennützig sind! Somit erscheint das Kreuz im Lichte der christlichen Offenbarungsreligion als jenes Element, welches die Echtheit und Aufrichtigkeit unserer Glaubenshaltung überprüfen und den jeweils vorliegenden Grad unseres geistigen Fortschritts anzeigen will.
Es stellt gewissermaßen das Element der geistigen Reinigung dar, wie ja zum Beispiel auch das Gold nur im Feuer von einer jeden wertlosen Beimischung befreit wird ...um danach einen umso höheren Wert zu erwerben! Gleichermaßen will uns das Kreuz keinesfalls zerstören oder vernichten, sondern von mannigfachen falschen Wünschen und Intentionen befreien und unsere Hingabe an Gott, weil sie sich im Leid bestätigen ließ, sogar weiter veredeln!
So ist es vor uns gerade auch den Heiligen ergangen. Durch die Kreuze, die ihnen widerfuhren, wurde die Echtheit ihrer Gottesbeziehung zwar auf eine sehr harte Probe gestellt: “Bis zur Stunde leiden wir Hunger und Durst, Blöße und Misshandlung, sind ohne Heimat und plagen uns mit unserer Hände Arbeit. Man flucht uns, und wir segnen. Man verfolgt uns und wir nehmen es geduldig hin. Man verleumdet uns, und wir spenden Trost. Wie der Auswurf der Welt sind wir geworden, wie der Abschaum aller bis zur Stunde” (1 Kor 4,11-13) Aber weil sich die Heiligen darin bewährt haben, haben sie auch völlig zurecht die “Krone der Gerechtigkeit” gewonnen und dürfen sich der alles überwältigenden und für alles entschädigenden Gegenwart Gottes erfreuen: “Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt. Nun liegt für mich die Krone der Gerechtigkeit bereit. Der Herr, der gerechte Richter, wird sie mir an jenem Tag geben, und nicht bloß mir, sondern allen, die sich auf Seine Wiederkunft freuen! (2 Tim 4,7f)!
So ist auch die allerseligste Jungfrau Maria an dem ihr zugedachten Kreuz der äußeren wie vor allem inneren Leidensbegleitung Jesu auf Seinem furchtbaren Kreuzweg nicht zerbrochen - ihre grundsätzliche Liebe und Treue zu Gott hat sich auf diese Weise nicht nur eindrucksvoll bestätigen sondern darüber hinaus auch noch weiter intensivieren lassen. Hat sie sich doch an Jesus trotz der massivsten Anfeindung, des gotteslästerlichen Spottes und des puren Hasses Seiner Gegner nicht irre werden lassen (zu welchem Zeitpunkt doch sogar die Apostel geflohen sind und Ihn teilweise verleugnet haben!), sondern hat bei Ihm unter dem Kreuz auch dann noch treu ausgeharrt, als Er Seinen Leidenskelch insofern bis zur Neige trank, dass Er über sich das furchtbare Leiden der bittersten Gottverlassenheit (!) ergehen ließ.
Es sollte dabei auch unbedingt beachtet werden, dass sich Maria bei dieser tiefen und wunderbaren Seelenverwandtschaft mit Jesus nicht nur etwa von ihren starken mütterlichen Gefühlen leiten ließ, wie sie eben den meisten Eltern in Bezug auf ihre Kinder eigen sind. Nein, als ihr eigentlicher Beweggrund, Ihm auch im denkbar größten Elend treu zu bleien, ist zweifelsohne vor allem ihre echte und unerschütterliche Liebe zu erblicken, mittels welcher sie sich Ihm nicht nur bereits seit den Jahren ihrer Jugend nach der Art einer ganzheitlichen Weihe überantwortet hatte (vgl. etwa Lk 1,34) und Ihm somit ihr Leben lang aufs innigste verbunden war, sondern welche in der Erfahrung des (gemeinsam) durchlittenen Kreuzes noch weiter gewachsen und gereift ist! Diese reine und im Schmerz bewährte Liebe (“Auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen”, Lk 2,35) ist jene herrliche Krone, die ihr Haupt so glänzend schmückt und dann hoffentlich auch uns zur Nachahmung ermuntert. Jedenfalls gibt es keine zweite so reine und edle Liebe, wie sie Jesus und Maria verband und verbindet!
5) Streben also auch wir nach der echten christlichen Heiligkeit, welche sowohl die Sünde als ein bewusstes Vergehen gegen Gottes Güte und Heiligkeit möglichst gänzlich und kategorisch ausschließt als auch uns zur gewissenhaften Übung der (summarisch gesprochen) drei großen göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe anspornt. Dann werden auch wir hoffentlich immer häufiger und immer intensiver sowohl die beseligende Erfahrung der echten Freude, die aus Gott kommt, machen dürfen als auch die tiefe Geborgenheit in Gott erfahren, welche als Seine unbeschreibliche Gnade nur denen gewährt wird, die Ihn selbstlos und uneigennützig lieben: “So kostet und seht, wie gütig der Herr! Selig der Mann, der auf Ihn vertraut” (Ps 33,9)! Wenn wir uns also auf diese Weise in Gott verfestigen lassen, wird unser anfangs sehr zartes Pflänzchen der geistigen Gotteskindschaft auch angesichts der zahlreichen Kreuze und der mannigfachen Widerwärtigkeiten des Lebens, welche uns bisweilen sogar schwere Opfer abverlangen, nicht brechen, sondern Schritt für Schritt weiter gedeihen, um schlussendlich zu einem Baum heranzuwachsen, der vielfältige Frucht für Zeit und Ewigkeit trägt und dann eben auch zum ewigen Leben gereicht!

P. Eugen Rissling


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